53 Kaderplätze hat ein NFL-Team – und trotzdem stehen beim Training deutlich mehr Spieler auf dem Feld. Möglich ist das, weil alle Franchises einen sogenannten Practice Squad haben. 2021 gehört diesem bei den Carolina Panthers ein Deutscher an: Kicker Dominik Eberle. Aber was ist das eigentlich genau, der Practice Squad – und wie wird er zum Karrieresprungbrett?
Der Practice Squad auf einen Blick
Um diese Fragen zu beantworten, ist zunächst ein grober Überblick nötig:
- Spieler des Practice Squads trainieren mit dem Team. Sie kommen aber nicht an Spieltagen zum Einsatz (siehe Ausnahmen unten).
- Sie werden auf Wochenbasis bezahlt und können vom Team jederzeit während der Saison entlassen werden. Im Falle einer Entlassung können sie von anderen Teams für deren Practice Squad aufgegriffen werden (siehe Regelung unten).
- Genauso unbürokratisch können Spieler des Practice Squads von anderen Teams jederzeit verpflichtet werden (siehe Ausnahmen unten), sofern diese Teams sie in den 53-Mann-Kader aufnehmen. Spieler aus dem Practice Squad können nicht das Team wechseln, wenn sie in ihrem neuen Team auch nur der Trainingsmannschaft angehören sollen, außer sie werden zuvor vom alten Team entlassen.
- Ein Spieler aus dem Practice Squad kann nicht vom nächsten Gegner seines aktuellen Teams verpflichtet werden, außer das geschieht mindestens sechs Tage (zehn Tage im Falle einer dazwischen liegenden Bye Week) vor dem Aufeinandertreffen der zwei Mannschaften.
- Spieler des Practice Squads reisen in der Regel nicht mit zu Auswärtsspielen ihres Teams und dürfen bei Heimspielen auch keine Trikots tragen.
Damit wären die Basics geklärt – bleibt die Frage, welche Rolle der Practice Squad für eine NFL-Franchise spielt.
Reservekader für alle Fälle
Grundsätzlich hat der Practice Squad mehrere wichtige Funktionen. Zunächst ist er ein zusätzlicher Kader, auf dem die Franchise junge Spieler weiterentwickeln kann, die vielleicht noch nicht bereit für den ganz großen Sprung in den regulären 53-Mann-Kader sind.
Außerdem dienen die Spieler des Practice Squad während der Trainingswoche als Ergänzungsspieler für die Einheiten, als eine Art Sparringspartner. Spielen die Panthers beispielsweise am kommenden Wochenende gegen die Tampa Bay Buccaneers, so übernimmt ein Quarterback aus Carolinas Trainingsmannschaft die Rolle von Tom Brady, simuliert dessen Bewegungsabläufe hinter der O-Line und gibt so der ersten Garde die Möglichkeit, sich ideal auf den nächsten Gegner einzustellen.
Seit der Saison 2020 kommt dem Practice Squad aber noch eine dritte, ganz wesentliche Funktion zu. Coronabedingt wurde das Regelwerk so angepasst, dass die Trainingsmannschaft nicht mehr nur 12 (ab 2022 sogar 14), sondern 16 Spieler beinhaltet. Bis 2019 durften diese Spieler am Gameday nicht eingesetzt werden. Durch Covid-19 wurde jedoch eine Lösung erforderlich, die im Falle von Infektionen ein schnelles Handeln ermöglicht. So dürfen Teams bis einen Tag vor dem Spiel bis zu zwei Spieler aus dem Practice Squad temporär in den aktiven Kader holen. Einzige Ausnahme: Im Falle eines in letzter Minute festgestellten Corona-Falls dürfen Teams noch kurz vor Kickoff einen dritten Spieler temporär befördern.
Die reguläre Prozedur darf pro Spieler im Practice Squad bis zu zweimal durchgeführt werden. Will das Team diesen Spieler danach erneut in den aktiven Kader berufen, muss es ihn permanent für den aktiven 53-Mann-Kader verpflichten.
Eine weitere Neuerung seit 2020: Pro Woche können Teams bis zu vier Spieler bestimmen, die sie für den anstehenden Spieltag vor einer Verpflichtung durch ein anderes Team schützen wollen. Der Vorteil: Trainer können damit verhindern, dass ihnen eine andere Franchise bei der Vorbereitung auf den Gameday dazwischenfunkt. Und für die betroffenen Spieler gibt's nach Abschluss des Spieltags immer noch die Möglichkeit, den Wechsel zu vollziehen.
Welche Spieler sind Practice-Squad-berechtigt?
Seit 2020 fällt diese Antwort recht einfach aus – zumindest auf den ersten Blick. Normalerweise ist der Practice Squad gedacht für junge Nachwuchsspieler, die sich erst noch an das Tempo und Klima in der NFL gewöhnen müssen. Doch mit den Corona-Änderungen führte die Liga ein, dass bis zu sechs Veteranen mit unbegrenzter Spielerfahrung in der Liga aufgenommen werden dürfen.
Bei den restlichen zehn Spielern wird's ein wenig komplizierter, denn hier fällt das Stichwort "accrued seasons". Was es bedeutet? Eine "accrued season", also eine als gültig erfasste Saison, wird laut Tarifvertrag zwischen NFL und NFL-Spielergewerkschaft dann berechnet, wenn ein Spieler während einer Saison für mindestens sechs Regular-Season-Spiele bei voller Bezahlung für ein Team aktiv war. Der Practice Squad zählt übrigens nicht dazu.
Neben den sechs Veterans ohne Limit bei den "accrued seasons" darf der Practice Squad innerhalb des coronabedingten 16-Mann-Limits bestehen aus:
- einer unbegrenzten Anzahl von aktuellen Rookies,
- einer unbegrenzten Anzahl von Spielern, die während ihrer einzigen "accrued season" für maximal acht Spiele aktiv waren und
- maximal vier Spielern, die nicht mehr als zwei "accrued seasons" haben, also in der Regel Rookies der zwei vorangegangenen Jahre.
Wird ein Spieler aus dem Practice Squad entlassen, können zwei Dinge passieren. Für den Fall, dass er bereits vier "accrued seasons" angesammelt hat, wird er direkt Free Agent, sprich: Er kommt auf den freien Markt und kann mit allen Teams verhandeln. Für alle anderen Spieler gilt zunächst die Waiver-Wire-Regelung. Dabei dürfen die Teams innerhalb von 24 Stunden in einer gewissen Reihenfolge (bestimmt durch Leistung) ihren Anspruch auf den Spieler geltend machen. Möchte innerhalb der Deadline kein Team den Spieler verpflichten, kommt er auf den freien Markt.
Was verdient ein Practice-Squad-Spieler?
Die Stars der Liga kassieren Millionen. Von diesen Summen sind Spieler des Practice Squads – auch wenn sie sehr gut verdienen – weit entfernt. Regulär bekommen sie 2021 9.200 US-Dollar pro Woche oder eben 165.600 US-Dollar über 18 Wochen. Dieses Gehalt ist nur wochenweise garantiert, also im Falle einer Entlassung hinfällig. Veteranen mit mehr als zwei Jahren Erfahrung verdienen 14.000 US-Dollar pro Woche oder eben 252.000 US-Dollar über die Spielzeit hinweg. Zum Vergleich: Ein Rookie im aktiven Kader verdient mindestens 660.000 US-Dollar pro Saison.
Zwei Aspekte sind hier noch von Relevanz. Bei den genannten Gehältern handelt es sich um das Minimum. Teams können mehr Geld bezahlen, ohne dass es die Öffentlichkeit erfährt, beispielsweise wenn sie einen Spieler unbedingt für ihren Practice Squad gewinnen und Konkurrenten ausstechen wollen. Es bleibt dabei aber zu beachten: Die Gehälter des Practice Squads zählen genau wie alle anderen Spielergehälter gegen die Gehaltsobergrenze, die Salary Cap.
Auch wenn 9.200 Euro nicht nach einem schlechten Wocheneinkommen klingen, so sind sie doch in Kontext zu setzen, denn schließlich werden sie über nur 18 Wochen ausbezahlt und fallen weg, sobald ein Spieler nicht mehr Teil des Practice Squads ist. Aufgrund der hohen Fluktuation in den Trainingsmannschaften aller 32 Teams und der begrenzten Dauer einer Sportlerkarriere ist das Ziel jedes Spielers, irgendwann im aktiven Kader einer Franchise zu landen. Dadurch wären ihm drei Wochengehälter garantiert, ganz gleich, ob er drei Wochen beim Team bleibt oder bereits nach einer wieder entlassen wird.
